Freitag, 12. September 2014

Mit versöhntem Herzen kämpfen


Terror und Krieg haben in den letzten Wochen und Monaten die Herzen vieler Menschen aufgewühlt; verständlicherweise....wie könnte man gleichgültig bleiben, angesichts des Unrechts, das unschuldigen Menschen zugefügt wird - umso mehr, da wir heute viele Bilder direkt aus den Krisen- und Kriegsgebieten sehr zeitnah über Internet zu sehen bekommen.

Wie damit umgehen? Ich stelle diese Frage, da ich das Ringen mancher Menschen wahrnehme, nicht in einen Sog von Aggression, Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit mitgezogen zu werden. Denn eigentlich kann es nur eine Antwort geben: einen Aufschrei der Empörung gegen das Unrecht, das hier ganzen Völkern angetan wird, gegen brutale und unbarmherzige Gewalt und Kriegstreiberei. Die Alternative wäre : Wegschauen von dem Leid, der Ungerechtigkeit dieser Welt - solange es uns nicht betrifft. Das wird uns zwar durch die Unterhaltungsindustrie unserer Konsumgesellschaft nahegelegt, kann aber nicht wirklich in Frage kommen für vernunftbegabte Menschen, die in ihrem Herzen noch nicht ganz abgestumpft sind.

Christen dürfen eigenes Leid gleichmütig ertragen, wenn sie die Gnade dazu bekommen; aber angesichts des Leides anderer unbewegt zu bleiben, kann nicht unbedingt als Tugend bezeichnet werden, sondern eher als Herzlosigkeit.

Hier muß, was die christliche Haltung betrifft, eine klare Unterscheidung getroffen werden zu buddhistischen Einflüssen, die sich leider manche Menschen zu eigen gemacht haben, die sich Christen nennen und für besonders fortschrittlich halten, weil sie von überall das herauspicken und aufnehmen was ihnen hilfreich oder interessant erscheint - wobei sie sich in entscheidenden Punkten vom christlichen Glauben entfernen. (Ich persönlich habe denselben Fehler in der Vergangenheit gemacht.)

Daher eine kurze Unterscheidung:

Der Buddhismus strebt an, allem sowohl eigenem auch als auch fremdem "Leid und Freud" gegenüber gleichmütig zu werden. Das betrachtet er als notwendig, um aus dem Dualismus dieser Welt auszusteigen und ins Nirwana zu gelangen - also weder von Schmerz noch von Freude in dieser Welt gehalten zu werden.
Was seine Mitmenschen betrifft, hat er diesbezüglich kein Problem, da sie ja gemäß budddhistischer Lehre ihr eigenens Karma abarbeiten durch das Leid das sie erleben. Es wäre gar nicht recht, ihnen dieses Leid zu erleichtern, denn man würde sie daran hindern, ihre Schuld abzutragen, die sie aus früheren Leben angehäuft haben. Kurz gesagt: Wen in dieser Welt Leid trifft, der hat es verdient und unbewußt sogar selbst gewählt.

Viele Christen kennen die letzten Konsequenzen dieser buddhistischen Philosophie nicht und übernehmen trotzdem verschiedene Elemente daraus, die ja heutzutage auch in kirchlichen Bildungshäusern vermittelnt werden: z.B.: sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und die Gleichmut zu bewahren als oberstes Gebot, ganz gleich, was passiert.

Hier genügt ein einfacher Vergleich, um festzustellen, daß ein Christ, der anfängt nach diesem Ideal zu streben, irgendwann mit den christlichen Geboten in Konflikt gerät, falls er diese überhaupt ernst nimmt und nicht nur dem Namen nach Christ ist. Im Christentum heißt die goldene Regel: Liebe Gott von ganzem Herzen und deinen nächsten wie dich selbst.
Wie sich diese Liebe nun äußert, bleibt dem Ermessen, dem Gewissen und der Begabung des einzelnen in der jeweiligen Situation überlassen - ob in Schweigen, Reden, Tun, Lassen und/oder Gebet.
Dennoch: unser wichtigstes Gebot ist die Liebe, nicht die Gleichmut; es scheint mir nötig, darauf hinzuweisen, zumal ich selbst vor Jahren verschiedenste Irrtümer aus der buddhistischen Philosophie angenommen hatte.

Eine andere Sache ist es, sich vom Leid dieser Welt dermaßen mitziehen zu lassen, daß wir wieder unfähig werden etwas dagegen zu tun. In dieser Gefahr befinden wir uns rein menschlich gesehen, wenn wir dem Leid anderer nicht gleichgültig gegenüberstehen - doch genau hier stellt die christliche Hoffnung eine entscheidende Hilfe dar, da wir in unserem Kampf nicht allleine gelassen sind und wissen, daß Leid und Ungerechtigkeit nicht das letzte Wort haben werden.

"Selig, die geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig die dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.
Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.
Selig die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich." (Matthaus 5, 1-10)

 
Diese Kernaussagen des Evangeliums bezeugen, neben vielen anderen, daß Gott selbst auf der Seite der Unterdrückten und Leidenden steht.
ER ist es, der die Fähigkeit zu Mitmenschlichkeit und Mitgefühl ins Herz des Menschen gelegt hat, als ER ihn nach Seinem Abbild schuf - sodaß dort, wo die Menschlichkeit mit Füßen getreten wird, in uns einen Aufschrei hergevorufen wird.

Doch entscheidend ist es, daß diese Empörung nicht das wird, wogegen sie sich wendet, nämlich Hass, Aggression und Unmenschlichkeit.

Dann sind wir nämlich nur selber zu einem Teil der Spirale von Gewalt und Aggression geworden, die sich immer mehr nach unten dreht - und verlieren sehr schnell auch die realistische Sicht über Ursachen und Folgen. Es passiert genau das, was schon so oft in der Geschichte passiert ist: die Kämpfer gegen Ungerechtigkeit werden selbst ungerecht, aus der Revolution gegen Korruption geht ein noch korrupteres Regime hervor usw. - weil jedes Mittel für den Kampf als legitim betrachtet wird für die Ziele die man aber damit schon verraten und aus den Augen verloren hat - weil der Gegner dämonisiert und der Kampf plötzlich gegen Menschen und Parteien geführt wird und es schließlich nur noch um die Gewinnung und Erhaltung von Macht geht. Auf die ursprünglichen Ziele möchte man sich vielleicht später wieder besinnen, doch dazu kommt es nie.

Hin und wieder werden wir damit konfrontiert, daß die Empörung der Massen bewußt herbeigeführt werden soll um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, z.B. die Dämonisierung eines Dritten um eine Legitimierung zu bekommen, diesen zu bekämpfen oder einen Krieg zu beginnen. Dieses Vorgehen unter der Bezeichnung "false flag" ist nicht neu - es wurde in Kriegszeiten immer wieder "verbrochen". Auch wenn es von den kriegstreibenden Parteien als ein Mittel der Kriegsführung angesehen und damit vor ihnen selbst (vor niemandem sonst) legitimiert wird, bleibt es, was es ist: ein moralisch verwerfliches und gerichtlich bzw. völkerrechtlich zu ahndendes Verbrechen.

Ein weiteres Mittel der Kriegsführung ist die Propaganda, die durch Lügen den anderen dämonisiert, um den Kampf gegen ihn vor dem Volk zu rechtfertigen und die Soldaten zu motivieren, sich als Kanonenfutter zur Verfügung zu stellen. Auch hier gilt: Lügen bleiben was sie sind. Krieg ist in sich kein Grund, der jedes Mittel legitimiert, das ansonsten verwerflich ist. Vielmehr muß die Frage gestellt werden, wessen Interessen dieser Krieg dient. Wenn nämlich kein wirklicher Grund vorhanden ist, um einen Krieg zu rechtfertigen (z.B. eine Bedrohung des Volkes) sodaß Lügen erfunden werden müssen, ist dieser Krieg an sich verwerflich und dient offensichtlich wirtschaftlichen und Machtinteressen bestimmter Personen oder Gruppen, nicht etwa der Verteidigung des Volkes. (was ja bei den meisten Kriegen der Fall ist).

Zurück zur Frage: Wie damit umgehen?
und - für manche vielleicht nur um einmal davon gehört zu haben - zu einem christlichen Stichwort, das von Roger Schutz, dem Gründer der ökumenischen Bruderschaft von Taizé geprägt wurde:

"mit versöhntem Herzen kämpfen"

was soviel bedeutet wie: sich bewußt gegen die Gefahr wappnen, die im Krieg so leicht besteht: daß Hass und Aggression die Herzen mitreißt, vergiftet, Menschen gegeneinander unnötigerweise verfeindet und zu unmenschlichen Taten veranlaßt.

Wie ist das möglich? Indem wir das beachten, was Jesus gelehrt und praktiziert hat: die Sünde, das Unrecht aufzuzeigen und zu verurteilen, aber nicht den Menschen, den Sünder. (Ich verwende hier bewußt die Begriffe, die in der Bibel verwendet werden, auch wenn sie für viele nicht unbedingt geläufig sind - es geht aber nicht um Begriffe.)

Anders ausgedrückt: Wir kämpfen nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut, sondern gegen geistige Mächte(Epheser 6,12). Wir kämpfen gegen Unmenschlichkeit, Gewalt, Ungerechtigkeit, Grausamkeit und sind uns bewußt: Die Menschen, die diese Dinge im Namen irgendeiner Staatsmacht, eines Geheimdienstes, einer Ideologie ausführen sind großteils selbst Belogene, vielleicht auch Bezahlte, die aufgrund einer persönlichen Notsituation getrieben wurden, für Geld unmenschliche Taten zu vollbringen. Natürlich gibt es auch diejenigen, die mehr oder weniger überzeugt scheinen von dem was sie tun. Doch auch sie wurden möglicherweise dazu erzogen oder waren selbst Opfer von Gewalt.

Der gläubige Christ - oder wer immer es möchte - gibt die Bürde, über die Schuld oder Unschuld des einzelnen zu urteilen, vollständig an Gott ab. Das hat den großen Vorteil, daß das eigene Herz frei bleibt von Gefühlen des Richtens, des Hasses, der Aggression gegen bestimmte Menschen und man den Blick darauf richten kann, was getan werden muß, um das Unrecht zu beenden.

Hier werden vielleicht viele einwenden, daß genau die Agression und der Hass gegen den Feind nötig ist als Antriebskraft um ihn effektiv zu bekämpfen.
Das möchte ich bestreiten. Sobald ein Kampf von Gefühlen motiviert ist, geht die Fähigkeit, die Situation realistisch einzuschätzen sehr schnell verloren. Man kämpft gegen Menschen statt für Ideale. Man wird unmäßig im Ausüben von Gewalt, wo dies gar nicht nötig ist um den Kampf zu gewinnen und verliert dadurch Kraft, Energie und den Blick auf das Ziel.

Das Urteil über den Menschen Gott zu überlassen, bedeutet natürlich nicht den Freispruch für jeden Verbrecher - auch den kann letztlich nur Gott aussprechen. Unrecht beenden heißt natürlich auch, jene zu stoppen, die das Unrecht ausführen, aber ohne dabei den Stab über sie zu brechen und ein letztes Urteil zu fällen - ja wenn möglich, indem man ihnen die Möglichkeit bietet, aus den Unrechtsstrukturen auszusteigen.

Das ist praktisch nicht immer ganz einfach und wenn man selbst betroffen ist, würde ich es als heroisch bezeichnen.

Dennoch ist es genau der Ausweg, den Jesus Christus uns lehrt und wie ich meine, der einzige Ausweg aus der Spirale von Hass, Gewalt und Aggression.
Jesus geht soweit, daß er uns auffordert: denen Gutes zu tun, die uns hassen, damit wir Kinder des Vaters im Himmel werden. (Mathhäus 5, 43-48)

Natürlich widerstrebt uns eine solche Aufforderung ganz spontan. Es geht um unsere menschliche Selbstbehauptung und auch um unseren Stolz.
Genau diese sollen wir sozusagen aufgeben oder zumindest geringachten um eines höheren Zieles willen: Kinder unseres Vaters im Himmel zu sein.
Das ist meines Erachtens ein Ziel, über das es sich nachzudenken lohnt.

Vielleicht möchte mancher, der sich über die Existenz des Himmlischen Vaters nicht sicher ist, als Ziel einsetzen: "um wirksam für den Frieden zu arbeiten".
Dem möchte ich sagen: die beiden Ziele treffen sich. (betrachten wir nur einmal den "Leitspruch" der Engel bei der Verkündigung der Geburt Jesu: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden". - Ein echter Friede, der auf Gerechtigkeit gründet, kann als Hauptanaliegen des Himmlischen Vaters betrachtet werden...)

Der Gott der Christen, von dem es in der Bibel heißt, daß ER der Lebendige, der Weg, die Wahrheit, das Leben und vor allem die Liebe ist; Kinder dieses Himmlischen Vaters zu sein bedeutet also einen bewußten Verzicht auf Vergeltung, Rache, auf meinen beleidigten Stolz, auf Hass und Gewalt um Frieden, Verstehen, Versöhnung zwischen den Menschen zu ermöglichen - und was mich betrifft: um mein Herz nicht zu vergiften mit all dem, was letztlich von der Liebe trennt, was Leben zerstört, was also nicht von Gott kommt, Der die Liebe ist.

Es ist nur zu klar, daß es hier um eine Entscheidung geht und nichts, das uns selbstverständlich ganz leicht fällt, zumal es auf den ersten Blick auch nicht unbedingt von Vorteil für uns zu sein scheint....Meinem Feind Gutes zu tun oder zu wünschen - was soll mir das nützen? Tatsächlich und vor allem in gesamtmenschlicher, geistiger Hinsicht nützt es mir wahrscheinlich viel mehr als Rache und Vergeltung - langfristig ganz gewiss - nicht nur mir, sondern auch meiner Umwelt, vielleicht sogar meinen Nachkommen.

Auch wird es uns nicht immer und sofort gelingen. Aber es ist ein Weg, der sich lohnt; ein Weg auf dem man wächst - vielleicht mit Rückschlägen - aber mit der Gewissheit für ein bleibendes Ziel zu kämpfen, das über den begrenzten Horizont dieser Welt hinausgeht, kurz gesagt: für den Heilsplan, den Gott mit dieser Welt hat.

Ein Zeugnis, das mich in dieser Hinsicht sehr beeindruckt hat, ist jenes des Australiers Ian Mc Cormack.

http://www.ianmccormack.de/zeugnis_ianmccormack_kurz.html

Ich möchte es hier, sozusagen als Illustration anfügen, auch um zu verdeutlichen, daß es hier um geistige Realitäten geht:

 
  • Daß dieser Himmlische Vater jeden von uns persönlich kennt und das Angebot Seiner Liebe macht, unabhängig davon ob wir etwas mit ihm zu tun haben wollen oder nicht.

  • Daß wir unseren Mitmenschen Barmherzigkeit und bedingungslose Liebe entgegenbringen müssen, wenn wir Kinder dieses Himmlischen Vaters sein und an Seiner Liebe teilhaben wollen.

  • Daß wir auch jenen vergeben müssen, die uns tatsächlich Unrecht getan haben, wenn wir ewig in der Liebe Gottes leben möchten, weil auch Er unsere Unvollkommenheiten und Fehler vergibt.

 
Weitere Zeugnisse gibt es von Menschen, die körperliche Heilung erlebten - z. B. von aggressivem Krebs - als sie sich entscheiden konnten, Menschen zu vergeben, die ihnen Unrecht zugefügt hatten und gegen die sie jahrzehntelang Hass und Groll in sich genährt hatten.

Unser Anrecht auf Hass, Groll und Vergeltung ist also nicht das, was unserem Menschsein entspricht - vielmehr zerstört es uns geistig und manchmal sogar körperlich, vor allem, wenn wir, was uns sehr schnell passiert, unsere Reaktion auf erlittenes Unrecht maßlos übertreiben und über Jahre hinweg in uns nähren.

Erlittenes Unrecht ist eine Tatsache, die wir nicht verdrängen sollen, dem wir uns auch nicht dauerhaft aussetzen müssen; doch, in Anbetracht unserer eigenen Fehlerhaftigkeit und der Tatsache, daß wir Kinder des Himmlischen Vaters sind, der uns bedingungslos liebt (vielleicht auch mancher Menschen, die uns Gutes getan haben, ohne daß wir es besonders verdient hätten), können wir über derartiges Unrecht hinauswachsen und uns für die Liebe entscheiden - d.h. zu vergeben, statt den Rest unseres Lebens unseren Geist und unser Herz mit Groll und Rachegedanken zu vergiften oder tatsächlich Rache zu verüben und dadurch Hass und Gewalt zu vermehren.

Abschließend noch einige Zitate aus der Enzyklika "Deus Caritas Est" (Gott ist die Liebe) von Benedikt XVI:

.....Wir dienen ihm nur, soweit wir können und er uns die Kraft dazu gibt. Mit dieser Kraft freilich alles zu tun, was wir vermögen, ist der Auftrag, der den rechten Diener Jesu Christi gleichsam immerfort in Bewegung hält: "Die Liebe Christi drängt uns" (2 Kor 5,14)

In dieser Situation ist der lebendige Kontakt mit Christus die entscheidende Hilfe, um auf dem rechten Weg zu bleiben: weder in menschenverachtenen Hochmut zu verfallen, der nicht wirklich aufbaut, sondern vielmehr zerstört, noch sich der Resignation anheimzugeben, die verhindern würde, sich von der Liebe führen zu lassen und so dem Menschen zu dienen.


 

 

 

 


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